Dienstag, 18. Dezember 2018

Das Glas mit den Sorgen

Die meisten Menschen neigen dazu, sich Sorgen zu machen, mich nicht ausgenommen. Bei manchen ist es so schlimm, dass sie abends im Bett liegen, während sich das Gedankenkarussel unaufhaltsam dreht, und im Geiste durchgehen, was schief gelaufen ist, was sie hätten anders machen können an diesem Tag und was sie bloß nicht vergessen dürfen. Sich Sorgen zu machen, kann sehr anstrengend sein. Nicht nur für die Person selbst, sondern für das ganze Umfeld, das die Sorgen mitbekommt.
Dazu kommt, dass Sorgen unliebsame Begleiterscheinungen wie Falten und Augenringe mit sich bringen.
An einer Universität, nicht an meiner, sondern einer anderen, veranstaltete eine Psychologin einmal mit ein paar Studenten ein Seminar gegen Stress (Tatsächlich habe ich schonmal eine Geschichte von einem Professor erzählt, der eine Vorlesung mit einem Wasserkrug veranstaltet hat; offenbar mag ich solche Geschichten).

Die Psychologin hielt ein Glas hoch, das mit Kernen gefüllt war. Statt zu fragen, ob das Glas halb voll oder halb leer sei, wollte sie lieber wissen, wie schwer das Glas sei. Die Schätzungen der Studenten lagen bei 500 bis 1000 Gramm.
Die Psychologin hörte sich die Vermutungen an und sagte schließlich: "Das absolute Gewicht spielt keine Rolle, ob 400, 800 oder 1200 Gramm. Viel wichtiger ist es, wie lange ich das Glas halten muss. Es eine Minute zu halten, ist nicht schwer. Nach einer Stunde jedoch würde mein Arm wehtun. Müsste ich es einen ganzen Tag lang halten, würde mein ganzer Körper irgendwann von Schmerzen geplagt sein und letztendlich würde er es gar nicht mehr aushalten. So ist es auch mit den Sorgen, die wir mit uns herumtragen. Sie sind mit den Kernen in diesem Glas vergleichbar. Denken wir nur kurz an unsere Sorgen, ist es nicht so schlimm, als wenn wir uns eine ganze Stunde mit ihnen befassen. Wenn wir zu lange an sie denken, werden sie anfangen, uns Kopfschmerzen zu bereiten. Wenn wir den ganzen Tag nur in Gedanken bei ihnen sind, werden wir irgendwann so gelähmt sein, dass wir nichts mehr auf die Reihe bekommen. Dann haben die Sorgen die Überhand gewonnen."

Die Psychologin fügte noch hinzu: "Um das zu verhindern, müsst ihr euer Glas mit den Sorgen ab und zu auskippen und es stattdessen mit bunten Murmeln befüllen. Tragt die Sorgen nicht in den Abend und die Nacht hinein, manchmal muss das Glas einfach mal abgesetzt werden, damit wir Zeit haben, uns zu erholen." An der Stelle endet die Geschichte. Was die Murmeln sein könnten, müssen wir wohl selbst herausfinden. Ich habe mir vorgestellt, dass es schöne Erinnerungen sein könnten, z.B. an den letzten Ausflug ans Meer, oder bestimmte Sätze, die unsere Lieblingsmenschen mal zu uns gesagt haben und die uns glücklich gemacht haben, oder eine Tätigkeit, bei der wir einfach abschalten, wie abends mit den Freunden rausgehen und ganz vergessen, was morgen nochmal für ein Tag ist.

Und ich glaube auch, dass Murmeln die Sorgen nicht einfach beiseite schieben sollten und das zudem auch gar nicht könnten. Sorgen sind in den meisten Fällen Probleme, die längerfristig gelöst werden sollten. Vielleicht geht es nur darum, dass wir uns bewusst machen müssen, dass wir nicht hier und jetzt gleich alle Probleme lösen können - vielleicht können wir das erst, wenn wir die bunten Murmeln eine Weile in dem Glas ausgekostet haben. ;)