Montag, 21. Januar 2019

Grenzen im Kopf


Diesen Slamtext habe ich für ein Seminar zum Thema "Rassismus und Rechtsextremismus" geschrieben.

Da ragte diese Mauer vor mir in den Himmel,
gesäumt von stacheligem Brombeer-Gestrüpp
Mein Herz schlug schneller vor Neugier,
ich wollte wissen, was sich dahinter verbarg.
Ich schob die Dornenranken beiseite
Und krallte meine Finger in die bröckelige Wand.
„Kehr um!“, rief jemand mahnend hinter mir,
doch meine Abenteuerlust siegte.

Stück für Stück erklomm ich den steinernen Wall,
Er bröckelte und splitterte unter meiner Handfläche.
Endlich glitt mein Blick über den grauen Rand.
Das Land auf der anderen Seite erstreckte sich vor mir.
Aus Spitzdachhäusern leuchteten Lichter.
Ich sah sie zum ersten Mal.
Die Mauer bröckelte weiter, löste sich unter mir auf.
Und ich erwachte aus meinem Traum.

Wir sind eine Welt mit sieben Milliarden Menschen
Verteilt auf sieben Kontinente,
umgeben von sieben Ozeanen.
Wir fliegen um den Erdball, das Internet ist überall.
Kofi aus Ghana schickt mir Fotos von der Strandbar,
Nouman aus Singapur liest meinen Reiseblog,
Cristina aus Santander richtet Weihnachtsgrüße aus.
Entfernung hat keine Bedeutung mehr.

Und doch gibt es überall Grenzen.
Grenzen, die mächtiger sind als alle Mauern der Welt.
Es sind die Grenzen in unserem Kopf.
Erschaffen aus der Furcht vor dem Fremden.
Da ist unsere Angst vor Terror und Gewalt.

Angst vor dem Untergang unserer Identität,
wenn wir unsere schützenden Mauern niederreißen.
Da ist unsere Angst, verwundbar zu sein.
Die Grenzen in uns machen uns unbesiegbar.
An ihnen prallt alles ab, was nicht ins Bild passt.

In der Schule belehrten sie mich,
Rassismus existiere nur in Geschichtsbüchern.
Krieg gebe es nicht mehr bei uns.
Die Zeit des Kolonialismus sei vorbei.
Wir lebten in Europa, friedlich und gerecht.
Doch irgendwann verstand ich es:
Menschen sahen dennoch das Fremde im Menschen.
Rassismus existiert in unseren Köpfen.

Sind wir denn nicht alle total tolerant?

Opa Hans sitzt am Abendbrottisch.
„Ich habe einen schwarzen Mann gesehen
Eine schöne, blauäugige Blondine im Arm.
Ja ja, so hat er seinen Pass gekriegt.“

Liebe schert sich nicht um Hautfarbe.
Liebe schert sich nicht um Herkunft.
Liebe schert sich nicht um Religion.
Liebe sagt „Es ist, was es ist.“

Sind wir denn nicht alle total tolerant?

Opa Mohammed sitzt am Abendbrottisch.
„Ich habe eine blasse, hellhäutige Frau gesehen,
das Gesicht voller roter Sommersprossen.
ihre nackten Arme waren tätowiert.
So eine sollte mein Sohn niemals heiraten.“

Wir wollen uns und unsere Lieben schützen.
Vor dem unbekannten Gebiet hinter den Barrieren.
Vor einer Realität, die uns aus der Bahn wirft.
Vor der Zerstörung unserer Weltanschauung.

Sind wir denn nicht alle total tolerant?

Rassismus ist kein Phänomen vergangener Zeiten,
Rassismus existiert da draußen in unseren Straßen
Und ganz besonders in unseren Köpfen,
Irgendwo stoßen wir an unsere inneren Grenzen.

Ich will meine inneren Grenzen überwinden
Mit Neugier und Offenheit für die Welt dahinter.
Mit Faszination für die Vielfalt dieser Erde,
Mit Liebe für das, was anders ist als ich.
Mich wie ein Löwenzahn durch grauen Beton zwängen
Und die Mauer in meinem Kopf zum Einstürzen bringen,
mein kleines Denken hinter mich lassen,
meine kleine Welt jeden Tag etwas größer machen.

Vielleicht entdecke ich etwas Neues.
Wenn ich über meine Grenzen spähe.
Einen Menschen, der mein Herz berührt.
Eine Geschichte, die ich bisher nicht kannte.
Eine Erkenntnis, die meine Grenzen durchbricht.


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